Angenommen, du hast einen Traum. Einmal, die Mauer entlanglaufen, die es zum Glück nicht mehr gibt.
160 km in Berlin.
Aber du merkst, das ist einfach eine Nummer zu groß, lässt also den Traum los, versuchst vernünftig zu sein. Und dann sagt eine Laufpartnerin, klar mache ich bei einer Staffel mit. Peng!
Schließlich waren wir zu viert, um den Mauerweg zu rocken.
Die vier Trassenläuferinnen, wobei eine nicht von der Trasse, sondern den Bergen kam. Berlin ist eben immer eine Reise wert. Wir sammelten im Training Kilometer bei Hitze und Regen an ganz unterschiedlichen Orten. Für die Mauer oder eigentlich dagegen. Und trafen uns virtuell.
Die Streckeneinteilung für die Viererstaffel war festgelegt, es galt 61, 31, 37 und 33 km zu verteilen. Während der Diskussionen, wer welche Etappe übernehmen könnte, wurden die Besonderheiten der einzelnen Streckenabschnitte schon deutlich. Tagsüber in der Augusthitze, nachts im finsteren Spandauer Forst. Aber erst vor Ort wurde uns bewusst, dass die Logistik zu durchblicken, genauso herausfordernd war, wie die Kilometer zu bewältigen. Wer muss wann mit welcher Tasche wo sein? Und wieviel Zeit muss man einkalkulieren, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Startpunkt zu kommen und von dort wieder weg?
Dank bester Volunteer- Beratung wussten wir, welche Busse nur stündlich fahren und welche U-Bahn im 10 Minuten Takt. Während meine Teamkolleginnen sich dann daran machten den Berliner Nahverkehr zu erforschen, hatte ich morgens nur zwei U-Bahnstationen zu fahren zum Start der 61 km- Etappe. Als langsamste Läuferin war ich für die längste Etappe auserkoren, (man sieht, dass unsere Planung eine spezielle Logik hatte) und freute mich wie Bolle auf Brandenburger Tor, East Side Gallery und die Pflastersteine meiner Kindheit.
Am Startmorgen hatte sich der Backofen Berlin ein angenehmes Wolkenhäubchen aufgesetzt. Und da wusste ich schon: Der Tag wird knorke! 7:30 Uhr fiel der ersehnte Startschuss und danach hatte ich nur noch einen Gedanken: Berlin ist phantastisch. Wir eroberten den Mauerweg zunächst plaudernd, so dass ich das Brandenburger Tor fast übersah. Am zweiten VP wurde ich schon von Bekannten begrüßt und dann Berlin, Berlin mit seinen 1000 Gesichtern. Gerade als ich meinem Staffel-Team schreiben wollte, wie wunderbar es lief, standen die drei wie eine Fata Morgana an der Strecke und ich wurde mit reichlich Umarmungen gedopt. Berlin, Berlin, dreams become true. Nach der Innenstadt wurde es grün. Rechts und links Botanik und mittenmang icke. Trassenlaufen wie im Bilderbuch. Immer Mal kam jemand entgegen und zeigte mit dem Daumen nach oben.
Natürlich kein Ultra ohne Tiefpunkt: Die Sonne kam doch noch, die Kekse schmeckten wie Mörtel und eingeschlafene Füße und der Rucksack drückte. Aber Ultras laufen ist wie das Leben, nach jedem Tiefpunkt geht es wieder bergauf. Viele Strecken lief ich allein mit meiner Uhr und der Idee Mauerweg, denn das Staffelfeld hatte sich weit auseinandergezogen. Aber in Berlin ist man eben nie ganz allein. „In welchem Ort bin ich hier?“ fragte ich einen Passanten und die Antwort „Teltow“ klang wie Musik in meinen Ohren. Mein Wechselpunkt. Dann musste ich nur noch den Sportplatz finden. Schon kam mir mein Cousin entgegen, lief die letzten Meter mit mir („nur noch einmal um die Ecke…und nochmal …und nochmal“). Der schönste Pokal im Ziel war meine Staffelpartnerin, die nun wohlgemut die nächsten 31 km in glühender Sonne und über Kopfsteinpflaster antrat. Verschwitzte Umarmung, dann hatte ich frei.
Während der Staffelstab bis Schloss Sacrow lief, wo die dritte Trassenläuferin schon Stunden in der Sonne gewartet hatte, konnte ich mit meinem Cousin eine Badepause einlegen. Berlin hat nicht nur Geschichte und City, sondern auch sehr viele Seen.
Dank der guten Mauerweglauf-Organisation konnten wir die Staffelpartnerinnen online verfolgen, trotzdem wussten wir nie genau wo die anderen waren. Während die eine ins Funkloch fiel, rannte die andere durch Mückenschwärme und den finsteren Spandauer Forst und die dritte testete erneut Bus und Bahn.
Es ging schon Richtung Mitternacht, als wir die letzte Läuferin mit Blinklichtern in die Nacht schickten. Natürlich wollten wir alle gemeinsam die letzten Meter über die Ziellinie rennen und obwohl unsere Vierte ordentlich Gas gab, schien mir die Wartezeit im Jahn-Sportpark kaum zu vergehen. Ich hatte den Eindruck, im Stehen einzuschlafen. Aber dann wurde es ernst, schneller als gedacht bog unser Staffelstab um die Ecke und ich merkte, dass ich statt zu schlafen auch einfach laufen konnte.
Eine Stadionrunde, die letzten legendären Meter des Mauerwegs.
Zwei Uhr nachts waren alle gesund im Ziel, mehr als sieben Stunden vor dem Cutt off. Ich war noch glücklicher als müde, aber die schönste Medaille war doch das Bett. Da durften wir nicht lange bleiben, denn um 10 Uhr gab es die Medaillen und außerdem galt es noch Läufer zu feiern, welche die ganze Distanz allein gelaufen waren. Bekannte treffen hier und da, Berichte von der Strecke, jede und jeder hat seine persönliche Grenze verschoben, ist gelaufen, hat gelacht, getröstet, geredet, viel gesehen. Keine Mauer, sondern ein Parcours von Freiheit und Begegnung. Und der Traum war nicht zu groß!
17. August 2025