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Macht euch frei

Macht euch frei

Ein etwas verstaubtes Image hätte der Alpenverein, sagen manche. Die haben keine Ahnung, dass wir uns Samstag morgens um 10 am Swingerclub treffen, um dann durch die Hattinger Hügel zu swingen.

Holger ist dafür bekannt, dass er stets ein Harem im Schlepptau hat, die er alle am Schluss verführt. Zum Kuchen essen.

Heute lief das allerdings etwas anders, wir hatten nämlich noch einen Deichschützer im Team, der einiges überwacht hat. Er hat sich ziemlich gewundert wie viele Deiche zwischen Hattingen und Sprockhövel übereinander gestapelt sind, obwohl gar kein Wasser da ist. Also, wir sind quasi bei Komplett-Ebbe durch den Wald und hatten trotzdem zuletzt ungefähr 62 Deiche (500 Höhenmeter) erklommen.

Die Tourplanung hatte Holger geheim gehalten. Wenn man einfach einem GPS-Track nach läuft ist das schließlich so ein bisschen wie Malen nach Zahlen und wir vom Alpenverein suchen doch das Abenteuer. Holger hatte deswegen eine Wegzeichen-Kombinationstour ausgesucht. Wahlweise folgten wir dem rosaroten Pilgerweg, der Raute, die eigentlich ein auf die Spitze gestelltes Viereck ist, der Georoute oder dem H. Welche Markierung gerade gültig war entschied Holger nachdem er sein Kartenblatt einmal leise murmelnd beschworen hatte und anschließend heimlich auf sein Handy sah. Das funktionierte gut bis wir die Hälfte der Tour hatten, wobei es schwierig ist die Halbzeit zu bestimmen, wenn die Streckenlänge nicht bekannt ist. Aber Renate hat das im Gefühl.

Nach der gefühlten Hälfte setzten wir uns also auf Baumstämme, die Holger offensichtlich bereit gesägt hatte und aßen unseren Proviant, danach war es ja nicht mehr weit. So dachten wir. Aber die Sache mit den Wegzeichen lief dann irgendwie aus dem Ruder. Es lagen welche auf dem Boden, überall waren Baumstämme verstreut und weder Handy noch Karte waren zu entschlüsseln. Wir kreiselten eine Weile auf dieser bewaldeten Anhöhe, auf der es auch kleine Baumstammhütten gab. Zunächst hatten wir Kinder als Bauherren vermutet, aber je länger wir durch das Unterholz krochen desto wahrscheinlicher wurde, dass es sich um die letzte Holger-Gruppe gehandelt hat, die dort übernachten musste. Damit machte es plötzlich auch Sinn, dass wir uns beim Butterbrot Gedanken um die Ernährung in Krankenhaus und Altenheim gemacht hatten. Unsere Zukunft lag ungewiss zwischen den Sprockhöveler Deichen.

Wir schafften es dann aber doch vor Einbruch der Dunkelheit zu entkommen, erreichten alsbald wieder aussichtsreiches Wiesengelände mit einigen nackig geschorenen Schäfchen. War ja klar, nach dem Start am Swingerclub, dass auch die Schafe beim FKK mitmachen. Angesichts der 28 Grad war das Nichts durchaus die beste Bekleidung.

Kurz nach den Wiesen ging es wieder ins Unterholz zum Georouten-H-Rauten-Pilgerweg, insofern man Laub-Ast-Hügel als Weg bezeichnet.

Als weitere Markierung kamen später noch Dixi-Toiletten ins Spiel. Und weil so eine Wanderung auch immer der Weiterbildung dient, haben wir herausgefunden, dass ein amerikanischer Fred im nordrheinwestfälischen Essen 1973 die mobilen Toiletten erfunden hat. Nachdem Papst Paul der II 1980 dort uriniert hat, wurde das ganze Sanitärsystem zwar nicht heilig, aber berühmt. Dixie ist eigentlich eine Bezeichnung für die Südstaaten Amerikas, das „e“ wurde wahrscheinlich irgendwie herunter gespült.

So etwas lernen wir also auf den Swingerclub-Wanderungen. Ansonsten sind wir noch in Sprockhövel City vorbeigekommen, einer Wiege des Bergbaus, weshalb zu unserem Georouten-Rauten-H-Pilgerweg- auch noch eine Förderturm-Beschilderung dazu kam. Entsprechend war hin und wieder eine Lore oder ein Erbstollen am Wegesrand zu finden und Geschäfte in denen man etwas hätte kaufen können. Aber Wanderer wollen wandern.

Als auserwähltes Ziel galt das Weilfest in Hattingen, weil es dort Kaffee und Kuchen gab. Holger hat sein Mandat als Gruppenführer allerdings schon vorher niedergelegt. Wir haben die Straßenbahn nach der Kuchenpause auch ohne ihn gefunden. Als ich auf der Rückfahrt zwischendurch aus dem Fenster sah, las ich den Straßennamen „Am Schamberge“. Ist klar, dachte ich, Berghüttenzauber und Dirndl war gestern, macht euch frei von den alten Vorstellungen. Und geht einfach Mal bei einer H-Tour mit, H wie Holger oder Hui.

VIGLi, 20.9.205