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Mit dem Rad zum Treffpunkt

Mit dem Rad zum Treffpunkt

München, das ist Hofbräuhaus, Alpenblick und Neuschwanstein? Von wegen. Das ist Schwimmen, wandern, laufen und radeln unter bayerisch blauem Himmel. Da gibt es eine Menge Möglichkeiten. Trotzdem plane ich dort keine Trainingstouren, sondern funke Familie und Freunde an.

Wer hat wann und wo Zeit? Ein Fahrrad buche ich immer über den sagenhaften mobilen Radlverleih München Süd, der mir das Rad an die Hoteltür bringt. Und dann Mal los mit den Verabredungen, S-Bahn und Bayerische Regionalbahn gibt es schließlich auch noch.

Diesmal bot sich ein Halbmarathon in Fürstenfeldbruck an. Mit dem Rad zur Bahn, Schwesterlein lief mit, Freundin holte mich ab, so war das eine Gaudi, obwohl die 34 Grad das Rennen in einen Wüstenlauf verwandelten. Damit wir Sportler so richtiges Wüstenfeeling erlebten war anfangs auch noch das Wasser knapp. Zum Glück rannten wir an der Amper entlang und an manchen Stellen konnte ich der Fluss erreichen und Kühlung auf den überhitzten Kopf gießen.

Solche Abenteuer bleiben in jedem Fall unvergesslich und meine Freunde sind auch alle so phantastisch, dass es sie nie stört, wenn sie mich schweißtropfend in die Arme schließen müssen.

Eine lockere Wanderung vom Tegernsee zum Schliersee avancierte anderntags zum Speed wandern, weil uns ein Gewitter vor sich her trieb. Das ist der Grund, weshalb ich nie einen Trainingsplan verwende und trotzdem nicht immer nur im gleichen Trott dahin trabe. Wer draußen unterwegs ist, bekommt seine Aufgaben von der Natur gestellt.

Und dann in diesen prallvollen Tagen noch so eine besondere Herausforderung: Die Schwestern wollten gerne baden im Lußsee und zugleich hatte ich endlich die Chance Carmen Rohrbach am Ammersee zu besuchen.

Dazu muss man wissen, dass Carmen nicht nur Biologin ist wie ich, sondern ihre Bücher auch sehr wichtige Lebensbegleiter für mich waren und sind. Mit „Am grünen Fluss“ habe ich mich getröstet, als ich aufgrund von Pflegeaufgaben nicht so viel unterwegs sein konnte, wie ich wollte. Da konnte ich dann in ihren Texten wenigstens gedanklich an der Isar entlang spazieren und freute mich über ihre Beobachtungsgabe. Später fiel mir ihr Buch „Solange ich atme“ in die Hände und das hat mich regelrecht elektrisiert. Eine Frau, die schwimmend aus dem Osten flüchtet, zwei Jahre ins Gefängnis kommt und sich doch von nichts und niemandem hat aufhalten lassen. Forschend, reisend, schreibend hat sie alle ihre Träume umgesetzt. Zahlreiche Bücher sind erschienen, die es ermöglichen an ihren Wanderungen durch die Welt teilzunehmen. Die Mongolei oder der Ammersee, die Anden und das Elbsandsteingebirgen. Überall gibt es viel zu entdecken, Carmens Lebenslust sprüht aus jeder Zeile. So inspirierend!

Also, natürlich wollte ich sie endlich live treffen und ihre Ammersee-Beschreibungen real erkunden. Selbstverständlich war es mir aber genauso wichtig meine Schwestern zu sehen. Die Lösung? Mit dem Fahrrad morgens 12 km zum Lußsee gestrampelt, mit den Lieben im klaren Wasser geplanscht und geplaudert und dann, als die Sonne schon ordentlich hoch stand, die 38 km nach Schondorf am Ammersee unter die Pedale genommen. Die bayerischen Radwege waren meinem Vorhaben wohlgesonnen, es gibt sehr wunderbare Strecken und während die Aussicht von Hochhaus zu Feld und Wald wechselte, rauschten die Kilometer nur so dahin.

„Es ist als ob wir uns schon ewig kennen“, lachte Carmen später, als wir bei Ananas und Aprikosen plaudernd von einem Thema zum anderen sprangen und schließlich auch noch im seidigen Ammersee-Wasser den Blick auf die Berge genossen.

Frisch gestärkt und mit Büchern bepackt, nahm ich dann auch den Rückweg unter die Pedale, ließ mich vom bayerischen Wüstenwind vorantreiben und war so pünktlich zurück, dass Zeit für eine Dusche blieb, ehe ich wieder im Sattel saß, denn die Familie hatte beschlossen beim Thailänder zu Abend zu essen.

Erst als es schon dunkel war, pedalierte ich die letzten Kilometer des Tages zu meinem Quartier.

95 Kilometer standen am Schluss auf dem Tacho. Kein Trainingsplan hätte mir so etwas vorgeschlagen, meine Sportuhr blinkte, das wäre ineffektiv, aber immerhin gab sie zu, es diene dem „Formerhalt“.

Na gut, ich sage, es war ein genialer Tag, die Nase in den Wind gereckt, die Haut Salz verkrustet und sehr viel Himmel über mir, alle Momente getragen von dem Wunsch mit wunderbaren Menschen zusammen zu sein. Was für ein Geschenk so durch die sonnige Welt zu rollen!

VIGLI, 11. Juli 2023