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Mit neuem Schalthebel durch Rippelbaum

Mit neuem Schalthebel durch Rippelbaum

Fürchte Dich las ich auf dem Ortsschild und dachte noch, es ist gar nicht zum Fürchten hier, nur wunderbar. Als ich das zweite Mal mit meinem Rennrad am Ortsschild vorbei sauste konnte ich meinen Lesefehler korrigieren, Füchtorf hieß es in Wirklichkeit, die Spargelmetropole im Münsterland. Ich war allerdings nicht zum Spargel essen da, sondern um beim Sassenberger Triathlon die olympische Distanz zu erobern.

Schwimmen, radeln, laufen.

Wer denkt damit wäre Triathlon erklärt, war noch nicht dabei. Die Logistik ist bei diesem Sport die eigentliche Herausforderung. Obwohl die Athleten wie Models auf dem Laufsteg ständig unter Beobachtung stehen, müssen wir uns im Speed Tempo umziehen und haben auch keine Visagistin an der Seite. Wobei ich mir vor allem immer jemanden wünschen würde, der mir ins Ohr flüstert, was als nächstes zu tun ist. Stattdessen jubelte eine Arbeitskollegin unverhofft am Streckenrand „Verena“, während ich verzweifelt auf der Suche nach dem Einstieg zur Laufstrecke war. Kollegin, Arbeit, Bochum, wirbelten die Gedanken durch meinen verschwitzen Kopf und torpedierten meine Orientierung. Wo war ich, wo ging es lang, hatte ich den Helm abgesetzt, was war als nächstes dran?

Kaum hatte ich den Parcours gefunden, stand eine Frankine am Streckenrand und fragte „Hast Du Björn gesehen?“, während ich gerade befürchtete, in die falsche Richtung zu rennen, weil ich auf das Ziel zusteuerte, obwohl ich noch 10 km zu laufen hatte. So ist das eben, wenn die Strecke mehrere Runden aufweist.

Aber bevor ich überhaupt auf die Laufstrecke durfte, galt es den Feldmarksee in Form einer sechs zu durchschwimmen. Die Startblöcke wurden nach erwarteter Schwimmzeit eingeteilt, wobei der letzte Block „mehr als 28 Minuten“ hieß. Nun sind 40 Minuten zwar auch mehr als 28, aber es war schon klar, dass mit solchen wie mir nicht so wirklich gerechnet wurde.

Das Starterfeld mit knapp 50 Frauen war übersichtlich, es gab einen rolling start, was bedeutete, dass ich von der ersten Minute an alleine im Wasser herum rollte, denn ein langsamer Schwimmer holt die Schnelleren natürlich nicht mehr ein. Ich rupfte kraulend ein bisschen Seegras aus, fand dass die erste gelbe Boje ziemlich schnell auftauchte, und wurde bei der zweiten Boje trotzdem von einem Kanufahrer gefragt: „Geht es ihnen noch gut?“

„Ja,“, antwortete ich mutig, obwohl die Welt durch meine beschlagene Schwimmbrille aussah, als wäre ich im Delirium.

An der nächsten Boje saß dann einer, der auf sein Handy schaute, was mich beruhigte. Er hielt mich offensichtlich nicht für eine Ertrinkende.

Am Schwimmausstieg lag roter Teppich und zwei Helfer gaben mir die Hand, da war ich für einen Moment Königin des Feldmarksees. Bis ich allein in die Wechsel Zone rannte und aus dem Lautsprecher ertönte: „Jetzt kommt Verena Liebers vom SV Blau-Weiß Bochum. Oh, das ist ja Ak 60.“

So machte ich also den Grufti-Clown für das geneigte Publikum, das mangels anderer Teilnehmer zu diesem Zeitpunkt freien Blick auf meinen Kampf mit dem Neopren hatte. Dabei habe ich dann die trockene Radhose, die ich mir wegen der diesjährig kühlen August-Luft spendiert hatte, verkehrt herum angezogen. Das ist mir allerdings erst 30 km später aufgefallen, denn die Radstrecke war einfach ein Traum und so ein Sitzpolster an der Vorderseite hat auch seine Vorteile.

Füchtorf und Rippelbaum, Wälder und Felder flogen vorbei, die Straßen waren erstklassig und an allen Ecken stoppten Helfer den Verkehr. Hin und wieder schaltete ich auch vom großen auf das mittlere Kettenblatt, obwohl das auf der flachen Strecke kaum nötig war. Ich wollte es einfach genießen, dass die Schaltung funktionierte. Bei der Testfahrt vor zwei Wochen hatte ich nämlich festgestellt, dass der linke Schalthebel defekt war. Und im Fahrradladen kam dann der scheinbare Todesstoß, es gäbe keine Ersatzteile mehr. Man muss also nicht mal 60 werden, 12 Jahre reichen bei einem Rennrad auch schon als Grufti-Kategorie. Zum Glück kenne ich so viele fantastische Franks und Günnis. Zunächst wurde mir ein Ersatz-Leihrad versprochen und dann kam einer mit dem genau passenden Ersatzteil um die Ecke. Hatte er im Keller liegen. Leute gibt’s. Das brachte er dann noch selbst zu Fahrrad-Nicolaus (Bochum), der daraufhin Weihnachtsmann für mich spielte: Am nächsten Tag war mein geliebter Flitzer wieder einsatzbereit. Deshalb konnte ich also durch die Münsterländer Weite rollen und mein Grinsen war dabei so breit, als hätte ich mir den Schalthebel in die Wangen geklemmt.

Als ich dann letztlich feststellte, dass ich auf der Laufstrecke doch die richtige Richtung eingeschlagen hatte und mich darüber freute, am See entlang zu rennen, den ich vor kurzem noch durchschwommen hatte, fing es an zu donnern. Dazu muss gesagt werden, dass es im Vorfeld des Triathlons tagelang geregnet, um nicht zu sagen geschüttet hatte und dass auch die Wettervorhersage für den Wettkampftag nicht gerade erbaulich war. Unverhoffter Weise war jedoch bis zu diesem Zeitpunkt alles trocken geblieben und der Donner schaffte es auch nicht, das Fürchte Dich wieder zu beleben.

Eine Frankine war schon im Ziel und feuerte mich an, am Campingplatz entlang der Laufstrecke saßen fröhliche Zuschauer und sorgten mit Musik für eine aktivierende Gänsehaut und die Sonne setzte sich wieder durch. Dann tauchte auch schon der letzte rote Teppich auf. In drei Stunden und 20 Minuten hatte ich 58 km bis zum Ziel bewältigt, schwimmend, radelnd, laufend.

Statt einer Medaille gab es eine Tasse, da konnte man sich praktischerweise gleich ein Getränk hineinfüllen und mit ein paar anderen verschwitzten Gestalten anstoßen. Trotz des königlichen Gefühls, erschienen leider keine Diener, die mich nun auf einer Sänfte in den Umkleideraum trugen. Stattdessen musste ich wieder zur Wechselzone zurückwandern, wobei ich es dabei geschafft habe, mich einmal zu verlaufen. Zum Glück gibt es dafür dann keinen Punktabzug mehr.

Dann hieß es, sich trockene Shirts über die salzige Haut zu ziehen und samt Rucksack mit 1000 Utensilien wieder zur Siegerehrung zu wandern. Triathlon ist Vielathlon. Einige meiner Franks und Frankines hatten es wegen ihres Raketen-Tempos aufs Treppchen geschafft. Ich allerdings auch. Das wiederum ist der Vorteil an der Ak w 60, wer da lebendig ins Ziel kommt, hat gute Aussichten auf eine Medaille. Außerdem gewann ich ein ice towel, das ist ein Handtuch, das kühlt. Auch wenn ich in diesem Sommer nicht so richtig weiß, was ich damit machen soll, ist es doch immer schön, etwas geschenkt zu bekommen. Nachdem wir uns dann alle ausreichend beglückwünscht hatten, fuhren wir im Auto bei strömendem Regen (!) wieder nach Hause.

Jetzt ist Montag, es regnet natürlich und mir kommt das alles vor wie geträumt. Mein altes Fahrrad und ich, wir haben einen Tag Sonne gebunkert. Unglaublich, aber wahr.

VIGLi, 7. August 2023